„Sind Sie die Pfarrerin?“
„Äh, nein. Ich heisse Erika“
„Die Pfarrerin hat mir einen Sack mit gebrochenem Holz vor die Tür gelegt. Hab ich gleich verbrannt!“ Sie verzieht ihr Gesicht. Von einem meiner letzten Besuche weiss ich, sie hats nicht so mit der Kirche…
„Ich hab meine Lieblingsblumen gepflanzt. Pfingstrosen!“
„Wo? Ich hab mich nicht geachtet.“ Ich dreh mich um, und da sind sie. „Nein, die sind falsch. Da vorne am Eingang“.
Tatsächlich ein wunderschöner grosser Pfingstrosenstrauss.
„Komm, wir gehen rein. Ich hatte Besuch vom Eichen-Ueli und jetzt hab ich kalt. Er ist schon 92 Jahre alt, aber FIT!“ Ihre kleine Hütte mitten in den Rebbergen ist kalt und klamm. Nur ein paar Quadratmeter mit einer Eckbank, einem Stuhl, einem schmalen Schrank, einem Gasofen, vielen Bildern und Unmengen Krimskrams. Vorallem aber alte, sehr alte Schuhe, die von der Decke hängen. Damen-, Herren-, Kinder- und Wanderschuhe. Mich erinnern einige Modelle an Karl Valentin und Charlie Chaplin.
„Das Paar habe ich erst vor kurzem geschenkt bekommen“ Alte Kinderschuhe aus weissem Leder baumeln von der Decke. Sie besteht darauf, dass ich etwas in ihr Gästebuch hineinschreibe. Schon lange hat keiner mehr geschrieben, obwohl sie viel und täglich Besuch bekommt, beschwert sie sich „Der da, der ist schon sehr alt!“ Ich schaue an die Wand neben mir und verstehe nicht was sie meint. „Da, der Schuh!“ Ich seh keinen Schuh, dabei ist die ganze Hütte voll davon. „Na, da, vor deiner Nase“ Tatsächlich, da baumelt ein einzelner alter Schuh, direkt vor meiner Nase. Wahrhaftig – der ist sehr alt!
Ich schmunzle: sie vergisst, was sie mir noch vor 5 Minuten erzählt oder mich gefragt hat, und ich sehe nix!
Sie erzählt mir Geschichten, die ich schon von vorherigen Besuchen bei ihr kenne. Ich höre ihr gerne zu. Sie erzählt voller Energie und sie betont immer, wie wichtig es ist aktiv und in Bewegung zu bleiben.
Sie ist schon weit über 80, fährt immer noch mit dem Auto und für den Winter, wenn dann der Schnee kommt, hat sie schon eine Schaufel im Auto.
„Ussi, bei dem schönen Wetter, Ussi! Bewegung. Wenn du dich fallen lässt, hilft dir keiner mehr auf.“ (ussi = raus)“an die frische Luft, zu den alten Eichen…“
Der Nebel kommt schon wieder das Rheintal hoch…ich muss gehen…es ist immer wieder schön bei ihr, und in ihrem gigantischen Sammelsurium im Garten gibt es stets Neues zu entdecken. Was macht es da schon, wenn die Erzählungen gleich bleiben. Hauptsache, sie bleibt noch lange fit genug, um ihr kleines Paradies im Rebberg zu hegen und zu pflegen.
Einen Satz gibt sie mir noch mit auf den Weg: „Was gut ist im Leben, soll man nicht ändern.“
Es wird sich ändern, auch das Gute….
Sie würde mir fehlen, wenn ich meine alten Eichen besuche und auf dem Rückweg an ihrem Häuschen vorbeikomme.
Auf bald
Erika