Und plötzlich ist es STILL! Ich höre nur den Wind und den Regen. Und ich erinnere mich an ein Versprechen, das ich mir selbst gegeben habe: wenn er weg ist, schreibst du darüber!
Tinnitus. Eine weitverbreitete und verschwiegene Krankheit? Phänomen? Verschwiegen, da ihm etwas zweifelhaftes, mysteriöses anhaftet und er medizinisch keine eindeutig erklärbare Ursache hat. Die Steigerung wäre ein Hörsturz. Tinnitus – ein Geräusch, das man nur alleine hören kann, das einfach aus heiterem Himmel auftaucht und einen an manchen Tagen in den Wahnsinn treiben könnte. Meistens genau dann, wenn es absolut still um einen herum ist oder man am nötigsten Ruhe bräuchte.
Er verfolgt einen überall hin, zu jeder Tages- und Nachtzeit, treuer als ein Hund. Die Vielfältigkeit der Töne, der Lautstärke und der Rythmen sind unermässlich und nicht vergleichbar. Jeder hat seinen eigenen Pfiff im Kopf!
Mein Freund im Ohr begleitet mich seit 3 – 4 Jahren. Genau weiss ich es nicht mehr. Und ich hatte das grosse Glück, das er meist verschwand kurz bevor ich einschlafe und wieder seinen Job aufnahm, sobald ich wach wurde. Es gab auch immer wieder Momente, da war er weg, aber auch solche, da wurde er extrem laut und an ganz schlimmen Tagen ohne Unterbrechung.
Wie wohl bei den meisten Betroffenen startete ich mit der Rundreise auf der Suche nach Erlösung und Hilfe. Zunächst medizinisch, um eine organische Ursache auszuschliessen. Als mir der HNO-Arzt sagte, ihr Gehör ist nur gering geschädigt und mit dem Tinnitus müssen sie leben, lächelte ich innerlich und antwortete für mich: Nein, muss ich nicht!
Weiter gings: Alternative Methoden. Akkupunktur, Therapien aus der russischen Astronautenforschung, Heiler, Massagen, Osteopathie, u.s.w. Das ein oder andere hat mir kurzfristig Erleichterung verschafft, geblieben ist mein Freund im Ohr.
Als Ursache für Tinnitus wird oft Stress genannt. Den hatte ich beruflich und privat nicht, wenn man mal davon absieht, dass ich zu diesem Zeitpunkt durchschnittlich 60 000 km pro Jahr Auto gefahren bin. Sonst Stress? Nein.
Inzwischen kenne ich meinen Körper sehr gut und doch, verstehe ich seine Sprache manchmal nicht oder brauche ziemlich lang, bis ich merke, was er möchte. In diesem Tinnitus-Fall dauerte es ewig oder besser ausgedrückt: so plötzlich wie er erschienen ist, so langwierig war der Entwicklungs-Prozess bis zu seinem Verschwinden. Wobei ich mir vorstellen kann, dass er wieder erscheinen könnte…..doch dann ist er mir ein vertrauter Freund, der seine eigene Sprache mit mir spricht.
Vorweg: ich bin der Überzeugung, dass es für jede Krankheit / Schmerz auch eine psychisch – seelische Ursache gibt. Der Stein der Weisen liegt auf keinem Präsentierteller, der sich einem auf den ersten Blick offenbart. Wir Menschen sind Grossmeister der Verdrängung, des Versteckens und der Verleumdung. Eine schreibt hier gerade.
Das Leben hat noch etwas nachgeholfen, so dass ich nicht nur einen Tritt in den Hintern kassiert habe, sondern mir auch meine himmelblaue Brille weggeflogen ist. Schritt für Schritt kam ich dem Kessel näher, der da so fröhlich vor sich hin gepfiffen hat und ich durfte mich mit seinem Inhalt auseinander setzen.
Ich habe kein allgemeingültiges Patentrezept, denn Tinitus ist ebenso individuell, wie jedes andere Leiden. Ich werde den ein oder anderen Anstoss geben aus meiner Erfahrung und meiner Wahrnehmung heraus. Unterm Strich kann ich heute sagen: die eine Hälfte ist meine Muskulatur und die andere Hälfte, der Kessel der Emotionen. Mein Freund im Ohr hat mich so lange begleitet, bis ich bereit war auf meine eigene, innerste Stimme zu lauschen.
…auf bald…
Erika